Er aß allein in Barcelona zu Abend, als die Kellnerin auf ihn zukam und sagte: „Entschuldigen Sie, mein Herr, Ihr Ehering ist identisch mit dem meiner Mutter

Gael blickte von seinem Teller auf und begegnete dem Blick einer jungen Kellnerin, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Sie war schlank, etwa 23 Jahre alt, mit braunem Haar, das zu einem ordentlichen Dutt hochgesteckt war, und zarten Gesichtszügen, die ihn vage an jemanden erinnerten, den er aber nicht genau einordnen konnte. Sie trug die schwarze Restaurantuniform professionell, doch irgendetwas in ihren Bewegungen ließ vermuten, dass sie schon bessere Zeiten erlebt hatte.

„Ja, bitte“, antwortete Gael und schob ihr sein Glas zu. „Es ist ein ausgezeichneter Ribera del Duero.“

Die junge Frau lächelte, während sie den Rotwein einschenkte. „Meine Mutter sagte immer, die besten Weine erzählen Geschichten aus dem Land, in dem sie entstanden sind.“

Irgendetwas an diesem Satz veranlasste Gael, sie genauer anzusehen. Es war nicht die Art von Bemerkung, die er von einer jungen Kellnerin erwartet hätte, sondern eher etwas, das jemand mit echten Weinkenntnissen sagen würde.

„Ihre Mutter hat einen guten Geschmack“, bemerkte Gael.

„Sie arbeitete in der Branche.“ Der Gesichtsausdruck der jungen Frau verdüsterte sich leicht. „Sie arbeitete in jungen Jahren in Weingütern, noch bevor ich geboren wurde. Sie sprach immer von Weinbergen, als wären sie Lebewesen.“

Gael nickte interessiert. Ihre Art, über Wein zu sprechen, kam ihm bekannt vor; er erkannte diese Leidenschaft wieder, denn er hatte sie schon bei Amélia beobachtet, als sie in ihrer Jugend gemeinsam Weingüter besuchten.

Genau in diesem Moment geschah es. Als die junge Frau den Wein eingeschenkt hatte, fiel ihr Blick auf Gaels rechte Hand.

Ihre Augen weiteten sich. Sie blinzelte mehrmals, als könne sie nicht glauben, was sie sah.

„Entschuldigen Sie, Sir“, flüsterte sie mit zitternder Stimme. „Dieser Ring… er ist identisch mit dem meiner Mutter.“

Gaels Welt schien sich zu verlangsamen. Er betrachtete den Ehering, dann das blasse Gesicht der jungen Frau.

„Was hast du gesagt?“

„Der Ring“, wiederholte sie und zeigte mit zitterndem Finger. „Meine Mutter hat genau denselben. Sie sagte immer, er sei einzigartig, es gäbe nur drei davon.“

Gaels Herz raste. Es war unmöglich. Absolut unmöglich. Die anderen beiden Ringe waren seit Jahrzehnten verschollen. Es sei denn…

„Wie heißt deine Mutter?“, fragte er, und seine Stimme klang selbst ihm fremd.

„Amélia“, antwortete die junge Frau. „Amélia Costa.“

Der Name hallte in Gaels Kopf wie Donner wider. Amélia. Seine Amélia. Aber sie war tot. Er hatte die Leiche identifiziert. Er hatte an der Beerdigung teilgenommen. Dreiundzwanzig Jahre lang hatte er an ihrem Grab geweint.

„Das … das ist nicht möglich“, stammelte er, während sich der Raum um ihn drehte. „Amélia ist tot. Bei einem Autounfall.“

Die junge Frau blickte ihn verwirrt an. „Meine Mutter hatte einen Autounfall, ja. Sie lag wochenlang im Koma. Aber sie hat überlebt.“

weiterlesen auf der nächsten Seite